Lassalle

Lassalle
Lassalle
 
[la'sal], Ferdinand, bis 1846 F. Lassạl, Publizist und Politiker, * Breslau 11. 4. 1825, ✝ (an den Folgen eines Duells) Genf 31. 8. 1864; Sohn eines wohlhabenden jüdischen Tuchhändlers, studierte 1843-46 Philologie, Geschichte und Philosophie. Während einer Studienreise (1845) nach Paris lernte Lassalle das sozialistische Gedankengut von L. Blanc kennen. Durch die nach seiner Rückkehr übernommene Prozessvertretung der Sophie Gräfin von Hatzfeldt (1846-54) wurde er v. a. im Rheinland bekannt. Politisch setzte sich Lassalle bereits 1848 in Düsseldorf, wo er mit der zeitweilig die Macht ausübenden Bürgerwehr eng verbunden war, radikaldemokratisch für die Einführung einer demokratischen Verfassung ein. In der Folge wurde er strafrechtlich verfolgt und 1849 wegen »Beleidigung des General-Procurators« zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Inhaftierung zwang ihn, die Mitarbeit an der von K. Marx, mit dem er in der politischen Zielsetzung weitgehend übereinstimmte, herausgegebenen »Neuen Rheinischen Zeitung« aufzugeben. In den 1850er-Jahren nahm Lassalle seine wissenschaftlichen Studien wieder auf. Neben philosophischen Untersuchungen, u. a. »Die Philosophie des Herakleitos« (1858, 2 Teile), entstand sein politisches Hauptwerk »Das System der erworbenen Rechte« (1861, 2 Bände), in dem er sich mit G. W. F. Hegels Rechtsphilosophie auseinander setzte. Im Gegensatz zu diesem arbeitete er heraus, dass ein gleiches Recht für alle erst in einem künftigen demokratischen Staat mit einer solidarischen Gesellschaft von Gleichen zu erreichen sei. Seine Stellungnahmen zur Arbeiterfrage brachten ihn in Kontakt mit den Arbeitervereinen (v. a. Rede vom 16. 4. 1862 in Berlin, das »Arbeiterprogramm«): Der »Arbeiterstand« sei berufen, den »sittlichen Staat« zu vollenden, dessen Zweck die »Erziehung. .. zur Freiheit« sei. Auf die Bitte eines Komitees in Leipzig legte er in dem »Offenen Antwortschreiben« (1. 3. 1863) sein politisches Programm für einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongress dar: Von der Vorstellung des ehernen Lohngesetzes ausgehend, forderte er die Beteiligung der Arbeiter an der Produktion und den Aufbau von Produktivassoziationen der Arbeiter mit staatlichen Hilfen, um somit soziale Ungleichheiten abzubauen. Durch ein allgemeines und gleiches Wahlrecht sollte das Dreiklassenwahlrecht überwunden werden.
 
Auf dieser programmatischen Grundlage entstand am 23. 5. 1863 der ADAV, zu dessen erstem Präsidenten Lassalle gewählt wurde. Zur Erhaltung legaler Betätigungsmöglichkeiten für den ADAV und in Verfolgung seiner gegen das liberale Bürgertum gerichteten Politik suchte Lassalle Kontakte zu O. von Bismarck (ab 12. oder 13. 5. 1863) und trat für ein »soziales Königtum« ein (Verteidigungsrede im Hochverratsprozess, 12. 3. 1864); 1863-64 reiste er als wirkungsvoller Agitator für den ADAV durch Deutschland. Bei einem Kuraufenthalt in Rigi-Kaltbad nahe Genf geriet er um die Tochter des bayerischen Gesandten in der Schweiz, Helene von Dönniges (* 1846, ✝ 1911), in ein Duell (28. 8. 1864) mit für ihn tödlichen Folgen. - Lassalle wurde auf dem jüdischen Friedhof in Breslau bestattet. - Nach Lassalles Tod ging der ADAV, dessen von Lassalle entworfenes reformerisches Programm K. Marx und F. Engels heftig kritisiert hatten, 1875 in der deutschen Sozialdemokratie auf, die danach wesentlich auch von Lassalles Gedankengut geprägt wurde. Der widerspruchsvolle Demokrat Lassalle, der die Demokratie als »Diktatur der Einsicht« begriff, ist mit seinem dem Marxismus nahen antiliberalen und antiparlamentarischen Auffassungen der radikalen jakobinischen Tradition zuzuordnen (I. Fetscher).
 
Ausgabe: Gesammelte Reden und Schriften, herausgegeben von E. Bernstein, 12 Bände (1919-20).
 
 
B. Becker: Gesch. der Arbeiter-Agitation F. L.'s (1874, Nachdr. 1978);
 J. Vahlteich: F. L. u. die Anfänge der dt. Arbeiterbewegung (1904, Nachdr. Berlin-Ost 1978);
 H. Oncken: L. Zw. Marx u. Bismarck (51966);
 S. Na'aman: L. (1970);
 G. von Uexküll: F. L. (Neuausg. 1979);
 F. Como: Die Diktatur der Einsicht. F. L. u. die Rhetorik des dt. Sozialismus (1991).

Universal-Lexikon. 2012.

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